Schreikrampf: Umschauen

Familienurlaub im Schnee. Klingt verlockend, zumindest solange ich mich mitsamt Schi und Stecken die Piste runtersause. Ist auch ein unglaublich schönes und befreiendes Gefühl. Es gibt aber natürlich die zweite Seite der Medaille: Die Familie. Meine Eltern, meine Großeltern, Tante, Onkel und Cousin. Ich habe meine Familie lieb, diese Urlaube machen wir auch schon, seit ich drei Jahre alt war. Aber manchmal überkommt mich schon das Gefühl schreien zu wollen, wenn sie Gespräche über mich führen, als wäre ich gar nicht im Raum.

Es ist Tag 2 nach meiner Ankunft im Appartement, wo meine Familie schon die ganze Woche verbracht hat. Mein Papa will, wie die Tradition bei uns beiden besagt, in die Bar des Nachbarhotels gehen – dort gibt es neben geilen Cocktails auch nette Mitarbeitenden und gute Musik. Und Schaukeln als Barhocker, da bin ich gerne dabei. Auch mein Onkel schließt sich an. Also rein in den warmen Pulli und mindestens zwei Schichten Hose für den kurzen und eisigen Weg zu dem wohlverdienten Drink nach einem langen Schitag. Als mein Vater und ich im Vorraum stehen, um uns unsere Schuhe anzuziehen, schreit uns meine Tante nach: „Und lasst‘s uns die Mädels in Ruh!“

Ich – in absoluter gay-Manier – finde das Ganze natürlich sehr lustig. Meine Tante weniger, die mich anschaut, und sofort zurückrudert: „Du halt die Buam. Ich meinte [Onkel] und [Papa].“ Aha, danke aber auch. Ich denke mir aber auch nicht mehr dazu, es ist meine Familie. Was mich mehr zum Nachdenken – und innerlich schreien – bringt, ist das, was in ihrem Gedankengang und Gespräch als nächstes folgt. Hier die Kurzfassung:

Tante: „Aber was wissen wir schon, vielleicht darf sich Vanessa ja gar nicht umschauen.“

Papa: „Ah einen Freund gibt’s nicht.“

Tante: „Umso besser, dann soll sie sich umschauen. Burschen gibt’s sicher genau da drüben.“

Papa: „Des wird nix mehr, die bringt uns nie wen heim.“

Tante: „Nein, das wird schon. Wir wissen’s nur vielleicht nicht. Aber irgendwann kommts dann schon noch.“

Das ganze Gespräch verfolge ich, indem ich zwischen den Beiden stehe und meinen Kopf hin und her bewege. Ein automatisches Kopfschütteln, das meine Irritation nur wenig zum Ausdruck bringt. Merkt ihr noch, dass ich da bin? Was heißt das eigentlich, ich darf oder darf mich nicht umschauen? Wer darf denn das überhaupt entscheiden, außer mir selbst? 

Unabhängig davon, ob ich mich überhaupt umschauen will oder nicht, ob bei Frauen, Männern oder nicht-binären Menschen ist dabei vollkommen irrelevant, finde ich diese Gespräche immer sehr spannend. Wie sehr sich andere Menschen Gedanken um mein Liebesleben machen, das ihnen absolut egal sein könnte. Und das Konzept des „Umschauens“ ist auch eines, dass ich noch nie verstanden habe. Als ginge es bei Menschen um Dinge, die ich in der Bar betrachte, wie Möbelstücke, wenn ich zu Ikea einkaufen gehe.

Das Gespräch beende ich dadurch, dass ich lautstark unser Gehen verkünde und bei der Tür rausmarschiere. Sollen sie doch denken, was sie wollen. Aber das nächste Gespräch führt bitte dann, wenn ich nicht gerade danebenstehe.


Schreikrampf: Eine Alltagskolumne von The Mole Vanessa